Eine kurze Geschichte der Sielhäfen
Axel Heinze • 15. Oktober 2025
Eigentlich weiß doch jeder, was ein Sielhafen ist, oder? Zumindest die Ostfriesen wissen das, das war doch schon immer so! Aber außerhalb Ostfrieslands ist dieses Wort ziemlich unbekannt. Und unsere Gäste fragen immer danach, deshalb will ich die Geschichte dieser Orte mal kurz und hoffentlich verständlich darstellen.
Was ist ein Sielhafen?
Wenn man einen Deich errichtet, bekommt man ein Problem mit dem Regenwasser. Das muss ja irgendwie raus ins Meer. Dazu wird eine Einrichtung in den Deich gebaut, mit der man bei Niedrigwasser das Regenwasser rauslassen, aber bei Hochwasser das Salzwasser draußenhalten kann. Das ist in der Regel ein Bauwerk in einem Wasserlauf mit großen Toren, die bei Ebbe geöffnet – um das Regenwasser rauszulassen – und bei Flut verschlossen werden, damit kein Salzwasser ins Binnenland kommen kann.

Deiche hat man seit dem 12. Jahrhundert hier gebaut, manchmal schon etwas vorher. Die Sielbauwerke waren aus Holz mit großen drehbaren Toren. Allerdings haben wir hier auch oft Sturmfluten. Solche Bauwerke waren dann der schwächste Punkt in einem Deich. Um sie zu schützen, wurden sie in einer künstlichen Deichbucht errichtet, damit die dem Wellenschlag nicht so ausgesetzt waren. Damit entstand dann gleichzeitig ein geschützter Hafenraum, in dem Schiffe relativ sicher waren.

Wofür wurde der Sielhafen gebraucht?
Es gab noch einen ganz anderen Beweggrund. Die eingedeichte Marsch war eine ungemein fruchtbare Landschaft, in der viel mehr an landwirtschaftlichen Produkten produziert werden konnte, als hier benötigt wurde. Diese Produkte musste man exportieren.
Leistungsfähige Landwege gab es kaum, Eisenbahnen erst recht nicht. Der Weg übers Wasser war damals der beste Weg, und er führte übers Meer und die Flüsse in die Städte.
Die hatten Nahrung nötig und konnten sie auch bezahlen. Umgekehrt brauchte man in der Marsch Holz und Steine, schwere Dinge, die importiert werden mussten. Auch dafür war der Wasserweg ideal.
Deshalb brauchte man Schiffe und Menschen, die diese Schiffe bauen und reparieren konnten. Auch das notwendige Personal war erforderlich, Matrosen, Steuermänner und Kapitäne. Dazu kamen dann noch die Reeder, die die Schiffe finanzieren konnten und
Händler, die diesen Warenumschlag vor Ort organisierten. Die Sielhäfen waren also die Knotenpunkte einer frühen Form der Globalisierung, weil viele andere uns heute vertrauten Formen des Transportes noch nicht existierten.
In der Frühzeit erstreckte sich der Aktionsradius dieses Transportes auf die Nord- und Ostsee, erreichte dann in der frühen Neuzeit auch den Mittelmeerraum und im 19. Jahrhundert schließlich auch Übersee mit Südamerika und selbst Ostasien. Allerdings wurden im 19. Jahrhundert die Schiffe immer größer, die Dampfschiffe kamen auf, und für solche Fahrzeuge war das Watt viel zu gefährlich und die Häfen viel zu klein. Deshalb wanderten diese Arbeitsbereiche in die großen Häfen der Flussmündungen ab, an die Ems, an die Weser und an die Elbe. Damit wanderten auch langsam die Kapitäne ab, die Reeder, die Schiffbauer. Das Aufkommen der Eisenbahn und der Ausbau der Straßen im späten 19. Jahrhundert machten dem Schiffstransport in den Sielhäfen weitgehend den Garaus.
Der Wandel der Sielhäfen
Der Rest der Bewohner war natürlich immer noch irgendwie der Schifffahrt verbunden und wollte nicht in der umliegenden Landwirtschaft arbeiten. Aber es blieben eigentlich nur zwei Möglichkeiten: in den Häfen an den Flüssen anzuheuern, aber vor Ort wohnen bleiben, oder im Fischfang sein Geld zu verdienen. Aber das war damals an der Küste fast nur der Krabbenfang. Die Krabben wurden in kohlebeheizten Darren getrocknet und als Hühnerfutter-Zuschlag verkauft. Viel Geld war damit nicht zu verdienen, aber man blieb eben dem Meer treu.

Die Werften konnten nur noch kleinere Fischereifahrzeuge bauen oder die Reparatur älterer Schiffe durchführen, für den Bau größerer Schiffe waren sie nicht ausgerüstet. Damit war auch dieses Gewerbe zu einem langsamen Aussterben verurteilt.
Zwei ganz andere Aufgaben hatten sich langsam für die Sielhäfen eröffnet. Auf den Inseln entwickelte sich zunehmend ein Fremdenverkehrsgewerbe, das versorgt werden musste. Auch die Feriengäste mussten zu den Inseln gebracht werden. Wenn ein Sielhafen
Versorgungshafen für eine Insel war, erhielt er so eine ganz andere Funktion und damit auch Arbeitsplätze, die sich aber in der Regel nur in der Sommersaison anboten.
Auch an der Küste konnte man am Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend Gäste begrüßen. Die kleinen Sielhafenorte waren malerisch und zogen Kunstmaler an. Vor allem war es hier wesentlich preiswerter als auf den Inseln. Und wenn der Künstler kein Geld hatte, um seine Rechnungen zu bezahlen, ließ er eben einige von seinen Bildern da. In manchen Hotels kann man noch die Spuren davon beobachten. Aber dieser Tourismus brachte nicht das große Geld, es war ein Nebenerwerb, den man gerne mitnahm.
Wenn wir die letzten drei Jahrhunderte überblicken, gab es noch andere Probleme für die
Sielhäfen. Die Landwirtschaft war ständig bestrebt, neues Land zu gewinnen, weil diese Polder extrem ertragreich waren. Durch diese Neulandgewinnung vor dem alten Deich geriet der Sielhafen immer weiter ins Hinterland. Dadurch wurde die Entwässerungsaufgabe des Sieles immer stärker behindert, sodass man weiter zu See hin einen neuen Siel errichten musste. Zumeist mussten dann alle Gewerbe von dem ‚Alten Siel‘ zum ‚Neuen Siel‘ umziehen, da ja ihr Broterwerb unmittelbar von dem Hafen abhängig war. Alte Siele – und damit ehemalige Sielhäfen – findet man oft weit im Hinterland. Sie verraten, dass hier einmal der Seedeich lag. Hier war dann ein ganzes Dorf umgezogen. Manchmal blieb der Name noch, aber viele Siele verschwanden auch spurlos von der Landkarte.
Die technische Entwicklung der Sielbauwerke spielte auch eine Rolle. Diese Bauwerke wurden immer größer und leistungsfähiger. Zudem konnten die Wasserläufe immer besser ausgebaut werden, sodass immer weniger Sielbauwerke erforderlich waren. Wenn der
Hafen dann keine Insel zu versorgen hatte, blieb hier keine Arbeit mehr und Orte verwaisten.

Licht am Horizont der sterbenden Sielhäfen
Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts änderte sich die Situation grundlegend. Die Menschen in den industriellen Ballungsgebieten wollten Urlaub machen. Die Ziele mussten erreichbar sein, es durfte nicht zu teuer sein, sie mussten einen Erlebnis- und Erholungswert besitzen. Für das Ruhrgebiet erfüllte die ostfriesische Küste mit ihren Sielhafenorten alle diese
Bedingungen. Die Ostfriesenwitze erhöhten den Bekanntheitsgrad der Region rapide. Vor Ort reagierte man darauf. Zunächst wurden die Darren abgeschafft, denn ihr Geruch konnte jedem Gast den Urlaub völlig verderben. Neben jedem Sielhafen wurde ein Strand künstlich aufgespült, denn Kinder wollen im Sand spielen. Es wurden Schwimmbäder gebaut, damit man auch zu Zeiten von Niedrigwasser ein Badevergnügen haben konnte. Die Unterbringung der Gäste erfolgte in möblierten Zimmern mit Frühstück, später dann in ‚Ferienwohnungen‘. Die lokale Gastronomie passte sich den Anforderungen der Gäste an. Die Krabben mutierten vom Hühnerfutterzuschlag zur Delikatesse. Den Gästen wurden Wattwanderungen und Kutterfahrten zu dem Seehundsbänken angeboten. Das Ansehen des Seehundes wandelte sich von der Jagdbeute zum Publikumsliebling.
Zunächst war dies ein Nebenerwerb mit einer starken Beschränkung auf den Sommer, aber die Saison wurde mit angemessen Angeboten spürbar erweitert. Für die Kleinen wurden Spielgelegenheiten unter Dach entwickelt, da das Wetter ja nicht immer so optimal ist. Für die Senioren wurden Kur- und Wellnessangebote sowie kulturelle Aktivitäten ausgebaut, vor allem in der Nebensaison außerhalb der Schulferien. Die Saison erweiterte sich langsam von den Osterferien bis zu den Herbstferien und heute werden bereits in den Weihnachtferien Wattwanderungen angeboten. Damit ist der Tourismus in den Sielhäfen vom Nebenerwerb zum Haupterwerb geworden.
Die Sielhäfen haben also in ihrer fast tausendjährigen Geschichte einen massiven wirtschaftlichen Strukturwandel durchlaufen, der von äußeren Faktoren erzwungen wurde. Dazu gibt es hier in Ostfriesland ein schönes Sprichwort:
„Nix blifft, as ‘t is!“
Literatur:
Arnold Schultze: Die Sielhafenorte und das Problem des regionalen Typus im Bauplan der Kulturlandschaft Göttingen 1962
Deutsches Sielhafenmuseum Carolinensiel www.deutsches-sielhafenmuseum.de
Zwei-Siele-Museum Westeraccumersiel www.zwei-siele-museum.de

Sie senden Signale und Botschaften aus, sie begrüßen den Gast und legen Zeugnis ab über den Bauherrn, und sie reden auch über die Geschichte des Hauses. Dies alles lässt sich am Wiechers-Huus nachvollziehen, immerhin hat es schon mehr als 300 Jahre auf dem Buckel und hat in dieser Zeit vieles erlebt. Jeder Gast eines Hauses wird begrüßt durch die Eingangstür, nur Vertraute der Bewohner benutzen in Ostfriesland immer die Hintertür. Schon die Eingangstür des Wiechers-Huus kann viel erzählen. Tür und Türrahmen passen nicht zusammen. Der Türrahmen ist deutlich älter, es ist ein barockes Eingangsportal, mit einem hervorgehobenen Rahmen und einem gut gestalteten Überbau, der die Bedeutung dieser Tür signalisiert.

Oscar Alfred Urban hat in der Zeit um 1900 auf der kaiserlichen Werft in Wilhelmshaven gearbeitet. Er hat damals ein Modell einer Segelyacht gebaut. Vermutlich war die Kaiserliche Yacht METEOR III das Vorbild für diesen Bau im Maßstab 1 : 30. Das Schiff hat den typischen Rumpf einer Hochsee-Yacht und die Beseglung eines Gaffelschoners. Dieser Typ der Beseglung war auch bei den Fracht-Segelschiffen hier an unserer Küste in dieser Zeit verbreitet.

Das Zwei-Siele-Museum Westeraccumersiel hatte aus einer Kapitänsfamilie aus Rhauderfehn ein Stickmustertuch aus dem Jahr 1764 erhalten. Dieses Stickmustertuch war mit typischen Symbolen der christlichen Seefahrt gestaltet. Ein Ehepaar aus Jever war von der Gestaltung und Machart fasziniert und hat das Tuch einer gründlichen Analyse unterzogen.

Das Zwei-Siele-Museum Westeraccumersiel zeigte im Jahr 2023 eine Sonderausstellung über die Brüder Ludwig und Georg Kittel aus Dornum. Die beiden Söhne des Dornumer Apothekers Kittel fanden beide ihren eigenen Weg zur Malerei und haben ein umfangreiches Werk hinterlassen, das nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Ihre heimatliche Umgebung war ihr Schaffensbereich. Sie haben damit Menschen und Landschaften der Region in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgehalten. Auch in ihrem privaten Bereich nutzten sie ihre Kunst, wie Ludwig Kittel mit einer Geburtstagskarte für seinen Freund Carl-Friedrich Eucken, den Landwirt des Wilhelminenhofes in Dornumergrode, dokumentiert.

Er war als Flüchtlingskind kurz nach Kriegsende mit seinen Eltern nach Dornumersiel gekommen. Die Kinder haben damals gerne auf einer kleinen Müllkippe hinter dem Deich gespielt, wo manches zu finden war, was man vielleicht noch gebrauchen konnte oder zu Geld machen konnte. Dabei war ihm ein kleiner Gegenstand aufgefallen, dessen Bedeutung ihm damals vermutlich garnicht bewusst war, aber es war ein Bild und Buchstaben zu erkennen. Und der Gegenstand war aus einem schweren, nicht rostenden Metall. Der Junge hat ihn nicht zu Geld gemacht, dafür war er vielleicht zu klein. Aber er blieb sein Leben lang sein Talisman und ein Andenken an seine Jahre in Dornumersiel. Der Fund ist jetzt fast 80 Jahre her. Und da er für seine Erben mit keiner Erinnerung verbunden war, beschloss er, das Stück dem Museum zu übergeben. Es ist ja ein Stück Ortsgeschichte damit verbunden.

In den nördlichen Niederlanden wurden von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein Warften massiv abgegraben zur Gewinnung von Düngermaterial. Mir wurde noch 1975 ein Pachtvertrag für einen landwirtschaftlichen Betrieb in Bereich der Middelzee gezeigt, in dem der Pächter verpflichtet wurde, sein Land alle 6 Jahre mit „terpaarde“ zu düngen. Aus Ostfriesland sind solche Beispiele in der Literatur nicht bekannt. Allerdings sind mir hier im nördlichen Harlingerland zwei Fälle bekannt geworden, die recht eindeutig darauf hinweisen, dass diese Praxis auch hier bekannt war und genutzt wurde. Ein Bewohner der Warft Oldendorf westlich von Bensersiel hatte seine ehemalige Landarbeiterstelle neben einem typischen Marschenhof von seinen Eltern geerbt. Seine Mutter hatte ihm berichtet, dass früher auf der Warft hinter ihrem Grundstück Erde als Dünger abgegraben und verkauft worden wäre. Die Veränderung im Relief war noch gut wahrnehmbar, es kann sich aber nicht um eine große Menge gehandelt haben. Von der Warft Oldendorf führt ein alter Weg nach Süden auf die naheliegende Geest zu der Geestrandsiedlung Utgast. Wesentlich später berichtet mir ein alter Landwirt in Utgast, dass er als Kind einmal einem Gespräch seines Großvaters mit einem Kollegen zugehört hätte. Er hat ihm berichtet, welche Flächen er mit Warftenerde aus Oldendorf gedüngt hätte. Es handelte sich hier um ehemalige Heideflächen, die noch auf der preußischen Uraufnahme 1:25 000 von 1892 als solche ausgewiesen waren. Nach dem Alter der handelnden Personen musst dies kurz nach 1900 geschehen sein. Einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Informationen kann ich nicht belegen, halte ihn aber doch für sehr wahrscheinlich.

Dornumersiel und Westeraccumersiel, zwei ewig konkurrierende Sielhafendörfer an der ostfriesischen Nordseeküste, waren im 18. und 19. Jahrhundert eine Heimat der Schifffahrt im Zeitalter der Segelschiffe. Hier lebte seefahrendes Volk, Kapitäne und Seeleute, Händler, Schiffbauer und Reeder. 160 Schiffe waren in dieser Zeit in beiden Häfen beheimatet, von der Schaluppe über die Kuff und die Galiot bis zum Schoner. Aber im 19. Jahrhundert wuchs der internationale Handel, und die Schiffe wuchsen mit. Gleichzeitig war die Dampfmaschine für die Schifffahrt einsatzfähig geworden und verdrängte langsam die Segelschiffe. Diese beiden Faktoren raubten den kleinen Sielhäfen nach und nach ihre Funktion, ihre Aufgaben verlagerten sich zunehmend in die großen Flusshäfen an Ems, Weser und Elbe. Was sich nicht so leicht verdrängen ließ, war die Seefahrertradition. Am Lebenslauf von Johann de Bloom läßt sich diese Entwicklung verfolgen. Johann Christoph de Bloom wurde am 13. August 1870 in Dornumersiel geboren. Er stammte aus einer alten Seefahrerfamilie. Sein Vater war Eppe Janssen de Bloom *1842, Ⴕ1928, Schiffer auf großer Fahrt, der selbst Schiffe hier in den Häfen liegen hatte, die RINA in Westeraccumersiel und danach die SIEVERINE in Dornumersiel. Später übernahm er die Gaststätte im Hafen von Westeraccumersiel und war Vormann des hier stationierten Rettungsboote AUGUST GRASSOW. Der Großvater war Heere Janssen de Bloom, Sägemüller in Westeraccumersiel, *1807, Ⴕ1850. Als Urgroßvater wird Hicke Janssen de Bloom genannt, Schiffskapitän in Westeraccumersiel und Sägemüller *1781, Ⴕ1852. Er umsegelte mit der Amsterdamer Fregatte DE HARMONIE Kap Hoorn und machte sich einen Namen als Westindienfahrer. Dessen Vater war Eppe Janssen de Bloom, der aus Dornum stammte und 1776 in Westerbur getraut wurde. Bis zum 14. Lebensjahr besuchte Johann die Schule in Dornumersiel. In den Sielhafenorten achtete man bereits bei der Auswahl der Lehrer besonders auf deren Fähigkeiten im Schreiben, Lesen und Rechnen, denn wer in der Schifffahrt etwas werden wollte, musste später die Seefahrtsschule besuchen. Die Ausbildung dort war anspruchsvoll, wie Schulhefte dieser Schulen eindrucksvoll belegen. Sie war vergleichbar mit der Qualität der heutigen Fachhochschulen, wobei die Schüler allerdings als Voraussetzung nur den Schulabschluss der achtjährigen Volksschule benötigten. Der Einstieg in die Seefahrt Bereits in jungen Jahren begleitete Johann de Bloom als Schiffsjunge seinen Vaters Eppe de Bloom auf der Galiot RINA, die in Westeraccumersiel beheimatet war. Danach wechselte er mit seinem Vater auf den Schoner SIEVERINE, der Dornumersiel als Heimathafen hatte. Diese Fahrten führten ihn nach Königsberg, Göteborg, Amsterdam, Aberdeen und Leith in Schottland. Damit hatte er also Nord- und Ostsee als Schifffahrtsrevier kennengelernt. Später wechselte er auch auf größere Segler in anderen Häfen. Zum Beispiel fuhr er auf dem Vollschiff (Bark) BREMERHAVEN unter Kapitän Barenborg nach New York. Über ein besonderes Weihnachts-Erlebnis auf dieser Fahrt berichtete er in einem Brief an seine Eltern: „Das Wetter war einige Tage gut gewesen. Am Morgen aber gab es schon wieder Schneeböen. Am Nachmittag die Bramsegel bergen. Die Situation verschlechterte sich weiter. Abend erst Marssegel reffen. Dann auch schon die anderen Segel mit beiden Wachen reffen. Schließlich bei immer heftigeren Winden Obermarssegel und Klüver festmachen. Lagen jetzt beigedreht. Es war sehr kalt und naß.“ Es war eine Winterfahrt, die sich durch verschiedene widrige Umstände über das Weihnachtsfest erstreckte. Die relativ nüchterne Aufzählung der verschiedenen Maßnahmen an Bord lassen nur erahnen, wie hart die Arbeit selbst an Heilig Abend war. Ohne maschinelle Hilfsmittel, unmittelbar Wind, Wetter und Wasser an Bord ausgesetzt, das jederzeit winkende Seemannsgrab direkt vor Augen. Doch dann wurde es ruhiger. De Bloom in seinem Brief: „Endlich so gegen 22 Uhr hieß es: Steuerbordwache in die Koje. Dazu gehörte auch ich. Also hinein ins kalte nasse Logis. Nun aber schnell unter die Decken.“ Wie selbstverständlich klingt unter diesen Umständen eine eher lapidare Feststellung des jungen Mannes: „An Weihnachten und Heiligabend dachte kein Mensch.“ Aber in diesem Punkt irrte de Bloom, wie er selbst im weiteren Verlauf seines Briefes feststellte. „Nun hatten wir aber einen Jungen an Bord aus H. Der machte seine erste Reise. Seine Mutter hatte ihm eine Kiste an Bord geschickt, die er erst am Heiligabend öffnen sollte.“ Dieser Junge und seine Kiste sollten entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Nacht nehmen: „Ich wollte eben in die Koje, da hielt er mir die Kiste entgegen. Er bat mich mit Tränen in den Augen, ich möchte ihm doch helfen, Weihnachten zu feiern. Alle anderen wollten nichts davon wissen. Sie hatten schon mit Stiefeln nach ihm geschmissen.“ Johann de Bloom konnte die Situation nicht einfach mit einem Stiefelwurf quittieren und sich aufs Ohr legen. „Jetzt wurde mir doch anders. Nun wollen wir mal sehen, was dir deine Mutter zu Weihnachten schickt,“ sagte er zu seinem Kameraden. Sie öffneten die Kiste und fanden obenauf einen Zettel: “Für dich und deine Kameraden zum Weihnachtsfest von deiner Mutter.“ Natürlich packten die jungen Burschen zügig weiter aus und brachten einige Dinge zum Vorschein: „Ein kleiner Tannenbaum mit 8 Lichtern daran, dann 20 Pakete mit allen möglichen Keksen, Nüsse, Kuchen, zwei Pfund Zucker und zwei Flaschen Rum. Zuletzt der neue Tannenbaum mit weißem Zettel des Weihnachtsevangeliums.“ Als die Kiste erst einmal offen war, waren die Kameraden doch nicht mehr so gleichgültig, wie sie zunächst mit ihren Stiefeln handfest demonstriert hatten. „Alle Mann kamen jetzt heran, jeder war neugierig, sogar die Freien“ , bezeugte der Ostfriese seiner Familie. Und plötzlich war Weihnachten an Bord. Keiner hatte daran gedacht, und doch waren sie von der Stimmung ergriffen. Der Schluß des Briefs: „Der Tannenbaum wurde auf dem Tisch festgenagelt, die Lichter angezündet. Dann musste der Junge das Weihnachtsevangelium vorlesen. Alles war still. Dann stimmte einer an ‚Stille Nacht‘. Alle wurden wie die Kinder.“ Mit anderen Seglern kam er weltweit, Indien, Australien, China und Japan waren in seiner Erinnerung geblieben. Dieser Weg über den Schiffsjungen zum Matrosen war der übliche Berufsweg in der Segelschifffahrt. In den Jahren 1890 und 91 leistete er seinen Militärdienst ab. Vermutlich geschah dies bei der kaiserlichen Marine. Bereits 1891, also nach sieben Jahren Fahrenszeit, erwarb er das Steuermannspatent an der Seefahrtsschule in Timmel. Ein Jahr später hatte er die Berechtigung, Fischereifahrzeuge zu führen. In den Jahren 1894/95 befehligte er den Fischdampfer PAUL der in Geestemünde neu gegründeten Reederei Wurthmann, dann wechselte er zur Reederei Julius Wieting. Für diese Reederei fuhr er nachweislich 1897 von Geestemünde aus mit der BUTJADINGEN bis nach Island auf Fischfang. Am 28. Dez. 1897 erwarb er das Schifferpatent für große Fahrt an der Schifffahrtschule Stade und hatte damit die Berechtigung, beliebige zivile Schiffe auf der ganzen Welt zu befehligen.

Axel Heinze – Zwei-Siele-Museum Westeracumersiel Flurnamen verraten viel über unsere Geschichte, selbst aus den Zeiten des Mittelalters, aus denen uns kaum historische Zeugnisse überliefert sind. Ein Beispiel dafür ist der „Homm“, ein sonderbarer Flurbereich nördlich von Westeraccum, der sich einer Namensdeutung bislang weitgehend widersetzt hat.[1]

Jede Sturmflut hat genau an einer Stelle ihre stärksten Auswirkungen: Dort, wo die größte Anzahl ungünstiger Faktoren zusammenkommt. Bei der Februar-Sturmflut 1962 war es offenbar Hamburg, weshalb diese Sturmflut auch Hamburg-Sturmflut genannt wird. Zu den Faktoren gehören der Zeitpunkt des Hochwassers, die Stärke und Richtung des Windes, der Stand von Mond und Sonne zueinander, der Abstand des Mondes von der Erde und viele andere Faktoren. Die Sturmflut hatte 340 Tote zur Folge, davon 315 alleine in Hamburg. Aber natürlich gab es auch Auswirkungen in einem weiten Umfeld. Wie sah es damals hier im Harlingerland aus? Auch in Ostfriesland war ein Deich gebrochen. Der Völlener Deich an der Ems nördlich von Papenburg war zerstört und der Polder unter Wasser gelaufen. Aber es hat hier keine Todesopfer gegeben. Insgesamt waren hier an der Küste 3000 ha Land überspült, aber nicht durch Deichbruch, sondern durch überlaufendes Wasser an den Deichen, weil diese eine viel zu geringe Höhe hatten. Es waren aber in aller Regel nicht die Seedeiche, sondern die flacheren Deiche vorgelagerter Polder wie zum Beispiel der Dammspolder östlich von Westeraccumersiel und Westerburer Polder zwischen Westerbur und Bensersiel.

Die Accumer Ee ist ein alter Wasserlauf in der nördlichen ostfriesischen Seemarsch. Marsch ist eine Landschaft, die an der Küste von Gezeitenmeeren entsteht. Das Wort Marsch bedeutet ursprünglich Sumpf, vielleicht verwandt mit unserem heute noch bekannten Wort Matsch. Das war eine natürliche Landschaft, bevor der Mensch daraus eine Kulturlandschaft schuf, die er wirtschaftlich nutzen konnte. Naturlandschaft Diese Naturlandschaft war menschenfeindlich, denn sie wurde bei jeder Sturmflut bis an den Geestrand vom salzigen Meerwasser überflutet. Es gab kein Trinkwasser, denn Brackwasser war für Menschen ungenießbar. Es gab kaum Höhen, auf die man sich bei Überflutungen retten konnte. Es gab keine Wege, nur ein endloses Gewirr von Wasserläufen, die zudem viermal am Tag im Rhythmus der Gezeiten ihre Richtung änderten. Bäume und Sträucher gab es auch nicht, denn die vertrugen das Salzwasser nicht, nur ein endloses Meer von Schilf, das Menschen kaum überblicken konnten. Weitab von der Küste gab es Lagunen mit brackigem Wasser, für Vögel und Insekten geeignet, aber nicht für den Menschen.

Ostfriesland ist reich an mittelalterlichen Kirchen! Alleine im Einzugsbereich der Accumer Ee gab es elf mittelalterliche Kirchenbauten. Eine – die Kirche von Osterbur – wurde ein Opfer der Sturmfluten, aber der Rest kann sich durchaus sehen lassen. Gönnen Sie sich diese Augenweide mittelalterlicher Baukunst.

Bekanntlich ist Ostfriesland mit Deichen gegen die Gewalt des Meeres geschützt. Diese grünen endlosen mächtigen Wälle kennt jeder. Sie halten das salzige Nordseewasser draußen, vor allem bei Stürmen, aber auch bei normaler Ebbe und Flut. Aber Deiche haben auch eine andere Wirkungen. Sie halten das Regenwasser drinnen, es kann ja nicht über den Deich klettern. Wenn Menschen einen Deich bauen, müssen sie etwas bedenken, um das – manchmal reichliche –- Regenwasser ins Meer zu schaffen. Und diese Einrichtung nennt man „Siel“. Zu Anfang des Deichbaus war das eine hölzerne Röhre durch den Deich. Außen war eine Klappe davor. Bei Niedrigwasser konnte das Wasser die Klappe selbst aufdrücken und frei abfließen. Kam draußen die Flut, drückte sie die Klappe zu. Dann musste das Salzwasser draußen bleiben.

Ein interessanter Aufsatz, den Axel Heinze als Festschrift anlässlich der Verabschiedung von Dr.Bärenfänger (Landschaftsdirektor) verfasste. Auslöser dieser Überlegungen ist das vielfach geäußerte Interesse von Einwohnern des Harlingerlandes an der Weihnachtsflut von 1717 und den Auswirkungen dieser Sturmflut in diesem Gebiet, denn diese Katastrophe hatte wohl hier ihren Schwerpunkt. Glücklicherweise gibt es zahlreiche Augenzeugenberichte, die auch sehr detaillierte Aussagen über das Ausmaß der Schäden erlauben. Trotz der nahezu völligen Zerstörung vieler Siedlungen in der Marsch wurden sie sehr schnell wiederhergestellt und bewohnt, obwohl sich solche Ereignisse doch jederzeit wiederholen konnten. Daraus folgt unmittelbar die Frage: Warum haben Menschen diesen lebensgefährlichen Raum überhaupt erschlossen und welche Fehler haben sie vielleicht bei der Erschließung gemacht? Marsch Unter „Marsch“ wird hier die fast flache Landschaft an einer Gezeitenküste verstanden, die bei normaler Flut nicht überflutet wird, aber bei Sturmfluten – also windbedingt erhöhten Wasserständen – mehrfach im Laufe eines Winters mehr oder weniger vom Wasser überdeckt wird. Handelt es sich um den Küstenbereich eines Meeres, so wird sie von Salzwasser überflutet (Küstenmarsch). In den Ästuarien wird das Wasser zunehmend brackisch bis schließlich ganz süß (Flussmarsch). Dieser Faktor ist entscheidend für die Pflanzengesellschaften, die sich hier entwickeln. Zudem ist die Sedimentation unterschiedlich, aber die Prozesse sind weitgehend vergleichbar (Zur Entstehung des Naturraumes siehe Behre 2008; 2014). Ein weiterer notwendiger Faktor ist ein langsames Anwachsen des Meeresspiegels gegenüber der Landeshöhe. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Meeresspiegel wirklich steigt oder der Boden sinkt, die Auswirkung bleibt gleich. Natürliche Höhenunterschiede ergeben sich zum Beispiel durch Uferwälle an Wasserläufen, wo vor allem oberhalb von Prallhängen relativ grobes Material abgelagert wird. Je nach Größe des Gewässerlaufes können solche Wälle Höhen von mehr als einem Meter erreichen, sind aber in ihrer Längenausdehnung immer beschränkt. Anders ist die Entwicklung parallel zur Küstenlinie. Auch hier wird bei Überflutungen gröberes Material in einigem Abstand von der Küstenlinie weitflächig abgelagert und bildet einen flacheren, aber wesentlich breiteren und oft sehr langen küstenparallelen Wall. Für dieses Phänomen wird in der niederländischen Geologie der Begriff „Kwelderwall“ benutzt, der sich als „Küstenwall“ übersetzen lässt. Bäume sind in der natürlichen Küstenmarsch kaum zu erwarten, da unsere Baumarten keinen Salzgehalt im Wasser vertragen. Die dominierende Pflanzenart ist das Schilf (Phragmitis) mit einer recht guten Salzresistenz und einer sehr guten Wasserverträglichkeit. Zudem stellt es keine besonderen Ansprüche an die Bodenart, solange genügend Nährstoffe zur Verfügung stehen. Die Bodenarten sind in der Marsch sehr unterschiedlich. An Korngrößen stehen nur Sand, Ablagerung, da Überflutungswasser hier oft lange Zeit steht und so auch Tonmineralien zur Ablagerung kommen, während Sand hier nicht mehr hingelangt und der Schluff-Anteil immer geringer wird. Schlick entsteht vor allem in der Übergangszone von Salz- und Süßwasser durch Ausfällung und biologische Prozesse, so dass er in der Flussmarsch dominiert und Schluff und Tonmineralien zur Verfügung. Auf den „Wällen“ dominieren Sand und Schluff, eventuell noch begleitet von einzelnen Muschelschalen, da hier die Wasserbewegung für feinere Sedimente zu groß ist. Weiter entfernt von Küste und Wasserläufen gelangt nur Schluff mit unterschiedlich hohen Tonanteilen zur mit zunehmendem Abstand von Fließrinnen fast nur noch als Ton mit einem geringen Schluff-Anteil abgelagert wird.

Auf diesem Foto hat Mirja Harms noch gut 300 Arbeitsstunden und zwölf Wochen vor sich! (Bild: Handwerkskammer) Mittlerweile ist die Wand freigelegt und strahlt im alten Glanz. Im folgenden Bereicht, der am 03.09.20 im Anzeiger für Harlingerland erschien, erfahren Sie neben den Informationen zur Wandfreilegung auch etwas über Mirja Harms und ihren überaus interessanten Beruf als Restauratorin.

Wir hatten das Haus „Am alten Hafen 1“ in Westeraccumersiel erworben, um es zu sanieren und dort das „Zwei-Siele-Museum“ und die K.-H.-Wiechers-Stiftung unterzubringen. Aber bei genauerer Besichtigung des Gebäudes ergab sich ein Hindernis, mit dem wir zunächst nicht gerechnet hatten. Das Haus war immer unbeheizt gewesen, da es nur im Sommer genutzt wurde. Gleichzeitig war der Keller oder besser das ‚Niederhaus‘ durch mangelnde Drainage immer etwas feucht. Zudem fiel durch die Fenster in nordwestlicher Richtung immer ein dämmriges Licht in diese Räume. Genau das sind die Lebensbedingungen, welche die Hirschzunge (Asplenium scolopendrium) bevorzugt; ein geschützter Farn unserer Region, den man sonst nur in Gebirgsschluchten findet. Hier aber wuchs er im Keller eines denkmalgeschützten Hauses dicht an der Küste.