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„Wir sind noch einmal davongekommen!“

Dez. 18, 2022

Die Auswirkungen der Hamburg-Sturmflut 1962 im Harlingerland  
von Axel Heinze 


Jede Sturmflut hat genau an einer Stelle ihre stärksten Auswirkungen: Dort, wo die größte Anzahl ungünstiger Faktoren zusammenkommt. Bei der Februar-Sturmflut 1962 war es offenbar Hamburg, weshalb diese Sturmflut auch Hamburg-Sturmflut genannt wird. Zu den Faktoren gehören der Zeitpunkt des Hochwassers, die Stärke und Richtung des Windes, der Stand von Mond und Sonne zueinander, der Abstand des Mondes von der Erde und viele andere Faktoren. 
Die Sturmflut hatte 340 Tote zur Folge, davon 315 alleine in Hamburg. Aber natürlich gab es auch Auswirkungen in einem weiten Umfeld. Wie sah es damals hier im Harlingerland aus? 
 
Auch in Ostfriesland war ein Deich gebrochen. Der Völlener Deich an der Ems nördlich von Papenburg war zerstört und der Polder unter Wasser gelaufen. Aber es hat hier keine Todesopfer gegeben. 
 
Insgesamt waren hier an der Küste 3000 ha Land überspült, aber nicht durch Deichbruch, sondern durch überlaufendes Wasser an den Deichen, weil diese eine viel zu geringe Höhe hatten. Es waren aber in aller Regel nicht die Seedeiche, sondern die flacheren Deiche vorgelagerter Polder wie zum Beispiel der Dammspolder östlich von Westeraccumersiel und Westerburer Polder zwischen Westerbur und Bensersiel. 

Westeraccumersiel

Im alten Hafen von Westeraccumersiel stand das Wasser wenige Zentimeter unter der Deichkrone. Es erreichte eine Höhe von 3,30 m über Mittelhochwasser. Wäre der Deich hier gebrochen, dann wäre das gesamte Harlingerland unter Wasser gelaufen und der Bahnhof in Dornum wäre noch überflutet worden. Nur die Häuser auf den alten Warften wären in Sicherheit gewesen.

Die Schwiegereltern von Helga Wiechers berichteten, dass in Westeraccumersiel in der Nacht ein Bus bereit stand für die älteren Gemeindemitglieder, um sie in sichere Bereiche zu evakuieren. Er kam nicht mehr zum Einsatz, weil das Wasser nicht weiter stieg. Das Hochwasser war am 17.2.62 für Bensersiel vorausberechnet für 11 Uhr 09, erreichte aber bereits 2 Stunden 20 Minuten vorher um 8 Uhr 49 seinen höchsten Punkt und stieg dann nicht weiter. Offenbar hatte die Sturmflut ihren Zenit überschritten. Der Westeraccumersiel war, anders als 1717 und 1825, vor einer Zerstörung bewahrt geblieben.

 An den Sielen gab es keine Schäden, da alle Sturmtüren rechtzeitig geschlossen wurden. In die Deichscharten waren die Bohlen eingelegt und die Zwischenräume dann mit Sand gefüllt worden. Zudem ist dieser Hafen nach Nordosten ausgerichtet, so dass die Sturmflut hier nicht so stark angreifen konnte. In dem Edenschen Hause hinter dem Westeraccumersieler Rettungsschuppen, und damit damals außendeichs, stand das Wasser bis an die Fensterbänke. Es wird erzählt, dass Frau Eden bei Sturmfluten immer auf dem Tisch saß, weil sie nicht aus dem Haus wollte.

 Allerdings wird berichtet, dass sich beim höchsten Wasserstand zahlreiche Fischkutter im Hafen losgerissen hatten. Mehrere Männer bestiegen ein Boot und vertäuten die Schiffe an Telefonmasten, Zaunpfählen und anderen geeigneten Objekten. Losgerissene Schiffe können riesige Schäden an den Deichen verursachen, wenn sie von der Brandung immer wieder gegen den Deich geworfen werden. 

Gründeich und Westerburer Polder

Im Westerburer Polder wurde ein Deichbruch befürchtet, deshalb sollten die beiden Höfe geräumt werden. Aber bevor dies vorbereitet war, stand das Wasser schon kniehoch im Polder. Das Vieh konnte nicht mehr weggebracht werden, nur die Bewohner wurden hinter den Seedeich gebracht. Allerdings stieg das Wasser nicht weiter, so dass der Deich gesichert werden konnte.

Der Landwirt und Obersielrichter a.D. Gerd Wessels aus Gründeich berichtet, dass er seine Frau mit den Kindern bereits nach Fulkum auf die Geest in Sicherheit gebracht hatte. Er selbst musste vor Ort bleiben, weil er einen der wenigen Telefonanschlüsse hinter dem Deich hatte.

Der Kolk im Gründeich vor ihrem Hof war durch den Deichbruch 1825 entstanden und 1962 konnte man von ihrem Hof aus bereits die Wellenköpfe vor dem Polder über dem Deich sehen.

Hermann Zeiger wohnte damals mit seiner Mutter am Strengeweg und arbeitete als Landarbeiter. Er kann sich noch gut an die Ereignisse im Westerburer Polder erinnern. Unmittelbar beim Hof Deters, dem östlichen Hof im Polder, war der Deich massiv geschädigt, ein 10 m breites Loch war in den Deich gerissen und der Polder stand unter Wasser. Der Polderdeich war damals niedriger als der Gründeich, der auch als Seedeich gewidmet war. Es gab noch keinen Deichverteidigungsweg, so dass die Kühe vom Hof durch das Wasser zum Gründeich geleitet werden mussten. Diese Arbeit leistete eine Bundeswehreinheit, die hier zum Deichschutz eingesetzt war. 

Auf dem Hof Janssen waren die Kühe im Stall geblieben und standen dort bis zum Euter im Wasser, haben dies aber gut überstanden. Schaulustige behinderten die Deichsicherungsmaßnahmen massiv. Ihre Autos mussten zunächst an die Seite geschafft werden, die Neugierigen wurden von der Polizei verpflichtet, beim Füllen und Tragen von Sandsäcken mitzuhelfen. 

Der Polderboden war durch das Salzwasser massiv geschädigt. Nach der Sturmflut wurden große Mengen Gips in den Polder geliefert, der in den Boden eingearbeitet werden musste. 

Bensersiel

Das gemauerte Sielbauwerk in Bensersiel hatte dem Angriff der Sturmflut getrotzt. Aber es war deutlich geworden, dass auch hier eine Deicherhöhung und ein neues Siel erforderlich wurde. Allerdings hatte der Deich westlich von Bensersiel keinen Schlafdeich mehr hinter sich, weil der Deich bereits früher zurückgezogen wurde. Wäre es hier zu einem Deichbruch gekommen, hätte das Wasser wie 1825 unmittelbar vor der Stadt Esens gestanden. In Esens wurde am Freitag, den 16. Februar um 21.30 Uhr Katastrophenalarm ausgelöst. Im Bensersieler Hafen sah es am Morgen des 17. Februar beängstigend aus. Das Wasser war zwar inzwischen etwas gefallen, überflutete aber noch immer das gesamte Hafengelände. Die große schwimmende Granatdarre, die normalerweise am westlichen Hafeneingang lag, war vom Sturm losgerissen und weggeschwemmt worden. Aber die Zeit der Darren war sowieso abgelaufen, ihre Geruchsentwicklung vertrug sich nicht mit dem zunehmenden Fremdenverkehr. In den Darren wurde Granat getrocknet, um ihn als Hühnerfutterzuschlag zu nutzen. 

Der Wohnwagen einer Baufirma trieb in der Nähe des Siels im Wasser, auch umfangreiches anderes Treibgut. Bei der damaligen Badeanstalt, dem Meerwasserschwimmbecken, lief die See bis hoch an den Deich. Die Strandhalle und andere Gebäude standen alle unter Wasser. Am Abend des 16.2. lief abends noch das Passagierschiff „Mecki“ von Langeoog ein, allerdings konnten die Fahrgäste nicht an Land kommen und mussten einige Stunden auf dem Motorschiff ausharren. 

Neuharlingersiel

Hier erreichte der Pegel 9,15 m über Pegelnull und damit 3,25 m über Normal. Das Wasser stand bis nach Mitternacht noch immer bis an die damals kurz vorher errichtete Schutzmauer. Diese Mauer hat 1962 den Ort gerettet. Sie wurde in den 80-er Jahren durch aufgesetzte Planken erhöht, aber auch dieses Maß bietet heute keine Sicherheit mehr. Zwei Baubuden im Hafen waren zusammengefallen und abgetrieben. Das Spiekerooger Fährschiff war im Neuharlingersieler Hafen festgemacht, weil es an dem damaligen Inselanleger am Westende der Insel zu sehr gefährdet gewesen wäre. Östlich von Neuharlingersiel, wo früher auch eine Darre stand, war der Deich stark angegriffen. Unmittelbar vor der Kappe an der Außenseite klaffte ein großes Loch, in dem die Wogen unablässig wühlten. Feuerwehrleute und Männer des Siels standen mitunter bis zum Hals im eisigen Wasser, um die Gefahrenstelle mit Pfählen, Buschwerk und Sandsäcken zu sichern. Auch in Richtung Harlesiel hatte der Deich des Friedrichsgroden in der Umgebung von Dreihausen mehrere Schwachstellen. 

Harlesiel

Hafen und Deichanlagen von Harlesiel waren erst wenige Jahre zuvor völlig neu erbaut worden und haben ihre Feuertaufe in dieser Sturmflut gut überstanden. Der Pegel erreichte hier mit 9,10 m um 18.50 Uhr seinen Höchststand. Wäre dieses Siel nicht gewesen, hätte die alte Friedrichschleuse sicherlich Probleme bereitet. 

Langeoog

Bei dem orkanartigen Sturm brach die Flut tief in die Dünen Langeoogs ein. Die Flut drang in den Großen Sloop, das Wasser lief in eine Wohnbaracke im Pirola-Tal. Die Bewohner wurden von den Wellen überrascht, konnten sich aber retten. Die Wohnung wurde noch in der Nacht von der Inselfeuerwehr geräumt. Die Randdünen waren an der Nordwestecke bei Rathmann auf 180 m bis zu 20 m in der Tiefe verschwunden. Die „Kajüte“ wurde von den Fluten umspült, die Gewächshäuser in der Nähe überflutet. Vom neuen Flinthörndeich waren 250 m fortgespült, der Rest sehr beschädigt. Feuerwehrleute und Schüler waren über Stunden damit beschäftigt, Sandsäcke zu füllen, um damit weitere Dünenabbrüche zu verhindern. Allerdings befand der Dünenmeister Gerdes, dass die Insel verhältnismäßig wenig gelitten hat. 

Spiekeroog

Die Insel Spiekeroog hatte viel stärker gelitten. Die Deiche am Bahnhof und auf dem Heller wurden überflutet und 90 % der Häuser wurden in Mitleidenschaft gezogen. Im Bahnhof stand das Wasser 1,5 m hoch. Theodor Janssen von Spiekeroog berichtete, dass die Giftbude vollständig verschwunden war, nur ein paar Mauern von einem Neubau standen noch. Auf dem Strand lag nur noch ein Trümmerfeld. Die Düne, die Promenade und auch die schräg gemauerte Schutzmauer waren vollständig zerstört. Die Stromversorgung war schon frühzeitig ausgefallen, zeitweise gab es kein Trinkwasser und die Telefonverbindungen waren ausgefallen. Hubschrauber der Bundeswehr versorgten die Insel mit dem Notwendigsten und brachten zwei werdende Mütter ins Krankenhaus nach Wittmund. Menschenleben waren auf Spiekeroog nicht zu beklagen, aber viel Kleinvieh war in den Fluten umgekommen. 

Fazit

Auch hier im Harlingerland war man nicht optimal vorbereitet auf solche Katastrophen. Wie in Hamburg musste auch hier die Bundeswehr helfend einspringen. Die Feuerwehrleute waren für solche Einsätze völlig unzureichend ausgerüstet. Deichsicherheitswege waren in weiten Bereichen nicht vorhanden. 

Der Regierungspräsident Eiben erließ einen Aufruf, in dem es unter anderem hieß: „Die Arbeiten am Deich werden außerordentlich behindert durch Schaulustige, die mit ihren Kraftwagen die Zufahrtsstraßen verstopfen. Von den Hilfsorganisationen, insbesondere von den Männern der Bundeswehr, kann nicht erwartet werden, sich in pausenlosem Einsatz aufzuopfern, während die, zu deren Sicherheit der Deich dient, die Katastrophe zum Anlass nehmen, einen Ausflug mit ihren Familien an den Deich zu machen. Es ist mir berichtet worden, dass arbeitsfähige Männer mit den Händen in den Taschen den Bemühungen der Hilfsmannschaften zugeschaut haben. Ein solches Verhalten ist gewissenlos! … Neben jedem Mann der Bundeswehr muss ein Ostfriese stehen! Wir Ostfriesen wollen uns nicht nachsagen lassen, dass wir, anders als unsere Väter, in der Stunde der Gefahr versagt hätten.“

Das Bildmaterial wurde dankenswerterweise von der Deichacht Harlingerland zur Verfügung gestellt, die sachlichen Informationen stammen von Zeitzeugen oder aus den Materialien der K.-H.Wiechers-Stiftung in Dornumersiel. 

07 März, 2024
Das Zwei-Siele-Museum Westeraccumersiel zeigte im Jahr 2023 eine Sonderausstellung über die Brüder Ludwig und Georg Kittel aus Dornum. Die beiden Söhne des Dornumer Apothekers Kittel fanden beide ihren eigenen Weg zur Malerei und haben ein umfangreiches Werk hinterlassen, das nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Ihre heimatliche Umgebung war ihr Schaffensbereich. Sie haben damit Menschen und Landschaften der Region in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgehalten. Auch in ihrem privaten Bereich nutzten sie ihre Kunst, wie Ludwig Kittel mit einer Geburtstagskarte für seinen Freund Carl-Friedrich Eucken, den Landwirt des Wilhelminenhofes in Dornumergrode, dokumentiert.
von Axel Heinze 31 Dez., 2023
Die K.-H.-Wiechers-Stiftung hatte den Auftrag, ein Haus für das „Zwei-Siele-Museum“ zu erwerben. Durch einen Zufall bekamen wir 2012 das Haus „Am alten Hafen 1“ angeboten, ein Haus unmittelbar an dem ehemaligen Hafen von Westeraccumersiel aus dem Jahr 1687, das als Ferienhaus genutzt wurde.
10 Dez., 2023
Bei einem Antiquitätenhändler hier in der Region wurde ein Bild von dem Dornumer Maler Georg Kittel angeboten, ich sollte es mir doch einmal anschauen. Wir hatten ja gerade erst eine Ausstellung zu den Brüdern Kittel gezeigt, was sollte da noch kommen?
Bodenfund Ostfriesland. Petschaft
10 Dez., 2023
Er war als Flüchtlingskind kurz nach Kriegsende mit seinen Eltern nach Dornumersiel gekommen. Die Kinder haben damals gerne auf einer kleinen Müllkippe hinter dem Deich gespielt, wo manches zu finden war, was man vielleicht noch gebrauchen konnte oder zu Geld machen konnte. Dabei war ihm ein kleiner Gegenstand aufgefallen, dessen Bedeutung ihm damals vermutlich garnicht bewusst war, aber es war ein Bild und Buchstaben zu erkennen. Und der Gegenstand war aus einem schweren, nicht rostenden Metall. Der Junge hat ihn nicht zu Geld gemacht, dafür war er vielleicht zu klein. Aber er blieb sein Leben lang sein Talisman und ein Andenken an seine Jahre in Dornumersiel. Der Fund ist jetzt fast 80 Jahre her. Und da er für seine Erben mit keiner Erinnerung verbunden war, beschloss er, das Stück dem Museum zu übergeben. Es ist ja ein Stück Ortsgeschichte damit verbunden.
von Axel Heinze 21 Apr., 2023
In den nördlichen Niederlanden wurden von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein Warften massiv abgegraben zur Gewinnung von Düngermaterial. Mir wurde noch 1975 ein Pachtvertrag für einen landwirtschaftlichen Betrieb in Bereich der Middelzee gezeigt, in dem der Pächter verpflichtet wurde, sein Land alle 6 Jahre mit „terpaarde“ zu düngen. Aus Ostfriesland sind solche Beispiele in der Literatur nicht bekannt. Allerdings sind mir hier im nördlichen Harlingerland zwei Fälle bekannt geworden, die recht eindeutig darauf hinweisen, dass diese Praxis auch hier bekannt war und genutzt wurde. Ein Bewohner der Warft Oldendorf westlich von Bensersiel hatte seine ehemalige Landarbeiterstelle neben einem typischen Marschenhof von seinen Eltern geerbt. Seine Mutter hatte ihm berichtet, dass früher auf der Warft hinter ihrem Grundstück Erde als Dünger abgegraben und verkauft worden wäre. Die Veränderung im Relief war noch gut wahrnehmbar, es kann sich aber nicht um eine große Menge gehandelt haben. Von der Warft Oldendorf führt ein alter Weg nach Süden auf die naheliegende Geest zu der Geestrandsiedlung Utgast. Wesentlich später berichtet mir ein alter Landwirt in Utgast, dass er als Kind einmal einem Gespräch seines Großvaters mit einem Kollegen zugehört hätte. Er hat ihm berichtet, welche Flächen er mit Warftenerde aus Oldendorf gedüngt hätte. Es handelte sich hier um ehemalige Heideflächen, die noch auf der preußischen Uraufnahme 1:25 000 von 1892 als solche ausgewiesen waren. Nach dem Alter der handelnden Personen musst dies kurz nach 1900 geschehen sein. Einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Informationen kann ich nicht belegen, halte ihn aber doch für sehr wahrscheinlich.
Johann de Bloom
19 Jan., 2023
Dornumersiel und Westeraccumersiel, zwei ewig konkurrierende Sielhafendörfer an der ostfriesischen Nordseeküste, waren im 18. und 19. Jahrhundert eine Heimat der Schifffahrt im Zeitalter der Segelschiffe. Hier lebte seefahrendes Volk, Kapitäne und Seeleute, Händler, Schiffbauer und Reeder. 160 Schiffe waren in dieser Zeit in beiden Häfen beheimatet, von der Schaluppe über die Kuff und die Galiot bis zum Schoner. Aber im 19. Jahrhundert wuchs der internationale Handel, und die Schiffe wuchsen mit. Gleichzeitig war die Dampfmaschine für die Schifffahrt einsatzfähig geworden und verdrängte langsam die Segelschiffe. Diese beiden Faktoren raubten den kleinen Sielhäfen nach und nach ihre Funktion, ihre Aufgaben verlagerten sich zunehmend in die großen Flusshäfen an Ems, Weser und Elbe. Was sich nicht so leicht verdrängen ließ, war die Seefahrertradition. Am Lebenslauf von Johann de Bloom läßt sich diese Entwicklung verfolgen. Johann Christoph de Bloom wurde am 13. August 1870 in Dornumersiel geboren. Er stammte aus einer alten Seefahrerfamilie. Sein Vater war Eppe Janssen de Bloom *1842, Ⴕ1928, Schiffer auf großer Fahrt, der selbst Schiffe hier in den Häfen liegen hatte, die RINA in Westeraccumersiel und danach die SIEVERINE in Dornumersiel. Später übernahm er die Gaststätte im Hafen von Westeraccumersiel und war Vormann des hier stationierten Rettungsboote AUGUST GRASSOW. Der Großvater war Heere Janssen de Bloom, Sägemüller in Westeraccumersiel, *1807, Ⴕ1850. Als Urgroßvater wird Hicke Janssen de Bloom genannt, Schiffskapitän in Westeraccumersiel und Sägemüller *1781, Ⴕ1852. Er umsegelte mit der Amsterdamer Fregatte DE HARMONIE Kap Hoorn und machte sich einen Namen als Westindienfahrer. Dessen Vater war Eppe Janssen de Bloom, der aus Dornum stammte und 1776 in Westerbur getraut wurde. Bis zum 14. Lebensjahr besuchte Johann die Schule in Dornumersiel. In den Sielhafenorten achtete man bereits bei der Auswahl der Lehrer besonders auf deren Fähigkeiten im Schreiben, Lesen und Rechnen, denn wer in der Schifffahrt etwas werden wollte, musste später die Seefahrtsschule besuchen. Die Ausbildung dort war anspruchsvoll, wie Schulhefte dieser Schulen eindrucksvoll belegen. Sie war vergleichbar mit der Qualität der heutigen Fachhochschulen, wobei die Schüler allerdings als Voraussetzung nur den Schulabschluss der achtjährigen Volksschule benötigten. Der Einstieg in die Seefahrt Bereits in jungen Jahren begleitete Johann de Bloom als Schiffsjunge seinen Vaters Eppe de Bloom auf der Galiot RINA, die in Westeraccumersiel beheimatet war. Danach wechselte er mit seinem Vater auf den Schoner SIEVERINE, der Dornumersiel als Heimathafen hatte. Diese Fahrten führten ihn nach Königsberg, Göteborg, Amsterdam, Aberdeen und Leith in Schottland. Damit hatte er also Nord- und Ostsee als Schifffahrtsrevier kennengelernt. Später wechselte er auch auf größere Segler in anderen Häfen. Zum Beispiel fuhr er auf dem Vollschiff (Bark) BREMERHAVEN unter Kapitän Barenborg nach New York. Über ein besonderes Weihnachts-Erlebnis auf dieser Fahrt berichtete er in einem Brief an seine Eltern: „Das Wetter war einige Tage gut gewesen. Am Morgen aber gab es schon wieder Schneeböen. Am Nachmittag die Bramsegel bergen. Die Situation verschlechterte sich weiter. Abend erst Marssegel reffen. Dann auch schon die anderen Segel mit beiden Wachen reffen. Schließlich bei immer heftigeren Winden Obermarssegel und Klüver festmachen. Lagen jetzt beigedreht. Es war sehr kalt und naß.“ Es war eine Winterfahrt, die sich durch verschiedene widrige Umstände über das Weihnachtsfest erstreckte. Die relativ nüchterne Aufzählung der verschiedenen Maßnahmen an Bord lassen nur erahnen, wie hart die Arbeit selbst an Heilig Abend war. Ohne maschinelle Hilfsmittel, unmittelbar Wind, Wetter und Wasser an Bord ausgesetzt, das jederzeit winkende Seemannsgrab direkt vor Augen. Doch dann wurde es ruhiger. De Bloom in seinem Brief: „Endlich so gegen 22 Uhr hieß es: Steuerbordwache in die Koje. Dazu gehörte auch ich. Also hinein ins kalte nasse Logis. Nun aber schnell unter die Decken.“ Wie selbstverständlich klingt unter diesen Umständen eine eher lapidare Feststellung des jungen Mannes: „An Weihnachten und Heiligabend dachte kein Mensch.“ Aber in diesem Punkt irrte de Bloom, wie er selbst im weiteren Verlauf seines Briefes feststellte. „Nun hatten wir aber einen Jungen an Bord aus H. Der machte seine erste Reise. Seine Mutter hatte ihm eine Kiste an Bord geschickt, die er erst am Heiligabend öffnen sollte.“ Dieser Junge und seine Kiste sollten entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Nacht nehmen: „Ich wollte eben in die Koje, da hielt er mir die Kiste entgegen. Er bat mich mit Tränen in den Augen, ich möchte ihm doch helfen, Weihnachten zu feiern. Alle anderen wollten nichts davon wissen. Sie hatten schon mit Stiefeln nach ihm geschmissen.“ Johann de Bloom konnte die Situation nicht einfach mit einem Stiefelwurf quittieren und sich aufs Ohr legen. „Jetzt wurde mir doch anders. Nun wollen wir mal sehen, was dir deine Mutter zu Weihnachten schickt,“ sagte er zu seinem Kameraden. Sie öffneten die Kiste und fanden obenauf einen Zettel: “Für dich und deine Kameraden zum Weihnachtsfest von deiner Mutter.“ Natürlich packten die jungen Burschen zügig weiter aus und brachten einige Dinge zum Vorschein: „Ein kleiner Tannenbaum mit 8 Lichtern daran, dann 20 Pakete mit allen möglichen Keksen, Nüsse, Kuchen, zwei Pfund Zucker und zwei Flaschen Rum. Zuletzt der neue Tannenbaum mit weißem Zettel des Weihnachtsevangeliums.“ Als die Kiste erst einmal offen war, waren die Kameraden doch nicht mehr so gleichgültig, wie sie zunächst mit ihren Stiefeln handfest demonstriert hatten. „Alle Mann kamen jetzt heran, jeder war neugierig, sogar die Freien“ , bezeugte der Ostfriese seiner Familie. Und plötzlich war Weihnachten an Bord. Keiner hatte daran gedacht, und doch waren sie von der Stimmung ergriffen. Der Schluß des Briefs: „Der Tannenbaum wurde auf dem Tisch festgenagelt, die Lichter angezündet. Dann musste der Junge das Weihnachtsevangelium vorlesen. Alles war still. Dann stimmte einer an ‚Stille Nacht‘. Alle wurden wie die Kinder.“ Mit anderen Seglern kam er weltweit, Indien, Australien, China und Japan waren in seiner Erinnerung geblieben. Dieser Weg über den Schiffsjungen zum Matrosen war der übliche Berufsweg in der Segelschifffahrt. In den Jahren 1890 und 91 leistete er seinen Militärdienst ab. Vermutlich geschah dies bei der kaiserlichen Marine. Bereits 1891, also nach sieben Jahren Fahrenszeit, erwarb er das Steuermannspatent an der Seefahrtsschule in Timmel. Ein Jahr später hatte er die Berechtigung, Fischereifahrzeuge zu führen. In den Jahren 1894/95 befehligte er den Fischdampfer PAUL der in Geestemünde neu gegründeten Reederei Wurthmann, dann wechselte er zur Reederei Julius Wieting. Für diese Reederei fuhr er nachweislich 1897 von Geestemünde aus mit der BUTJADINGEN bis nach Island auf Fischfang. Am 28. Dez. 1897 erwarb er das Schifferpatent für große Fahrt an der Schifffahrtschule Stade und hatte damit die Berechtigung, beliebige zivile Schiffe auf der ganzen Welt zu befehligen.
20 Dez., 2022
Ein in Aurich geborener Kunstsammler hat dem Zwei-Siele-Museum ein Bild des ostfriesischen Malers Johannes Georg Bietz geschenkt.
20 Dez., 2022
Axel Heinze – Zwei-Siele-Museum Westeracumersiel Flurnamen verraten viel über unsere Geschichte, selbst aus den Zeiten des Mittelalters, aus denen uns kaum historische Zeugnisse überliefert sind. Ein Beispiel dafür ist der „Homm“, ein sonderbarer Flurbereich nördlich von Westeraccum, der sich einer Namensdeutung bislang weitgehend widersetzt hat.[1]
14 Dez., 2022
Wo liegt überhaupt die Bucht und was ist die Dornumer Bucht? Gegen eine kleine Gebühr von 5 Euro für das Museum beantworten wir diese Fragen im Rahmen eindrucksvoller Radtouren. (Für Vereinsmitglieder ist die Führung kostenlos) Auf Anfrage organisieren wir gerne die Touren zu einem Wunschtermin.
10 Sept., 2021
Die Accumer Ee ist ein alter Wasserlauf in der nördlichen ostfriesischen Seemarsch. Marsch ist eine Landschaft, die an der Küste von Gezeitenmeeren entsteht. Das Wort Marsch bedeutet ursprünglich Sumpf, vielleicht verwandt mit unserem heute noch bekannten Wort Matsch. Das war eine natürliche Landschaft, bevor der Mensch daraus eine Kulturlandschaft schuf, die er wirtschaftlich nutzen konnte. Naturlandschaft Diese Naturlandschaft war menschenfeindlich, denn sie wurde bei jeder Sturmflut bis an den Geestrand vom salzigen Meerwasser überflutet. Es gab kein Trinkwasser, denn Brackwasser war für Menschen ungenießbar. Es gab kaum Höhen, auf die man sich bei Überflutungen retten konnte. Es gab keine Wege, nur ein endloses Gewirr von Wasserläufen, die zudem viermal am Tag im Rhythmus der Gezeiten ihre Richtung änderten. Bäume und Sträucher gab es auch nicht, denn die vertrugen das Salzwasser nicht, nur ein endloses Meer von Schilf, das Menschen kaum überblicken konnten. Weitab von der Küste gab es Lagunen mit brackigem Wasser, für Vögel und Insekten geeignet, aber nicht für den Menschen.
Schatzsuche im Zwei-Siele-Museum
10 Juli, 2021
Der ganze junge Müll musste erst einmal rausgeschafft werden, der alte Müll sichergestellt werden. Viele fleißige Hände haben geholfen, und es wurde von Tag zu Tag spannender, was da alles sichtbar wurde.
11 Juni, 2021
Ostfriesland ist reich an mittelalterlichen Kirchen! Alleine im Einzugsbereich der Accumer Ee gab es elf mittelalterliche Kirchenbauten. Eine – die Kirche von Osterbur – wurde ein Opfer der Sturmfluten, aber der Rest kann sich durchaus sehen lassen. Gönnen Sie sich diese Augenweide mittelalterlicher Baukunst.
07 Juni, 2021
Wenn Sie über die A29 nach Ostfriesland kommen, sehen Sie am rechten Straßenrand eine der jetzt modernen braunen Hinweistafeln, die auf landschaftliche Besonderheiten hinweisen. Da steht mit großen Lettern: „Niedersächsische Marschenlandschaft“.
Upcycling im Museum
28 Mai, 2021
25 Mai, 2021
Bekanntlich ist Ostfriesland mit Deichen gegen die Gewalt des Meeres geschützt. Diese grünen endlosen mächtigen Wälle kennt jeder. Sie halten das salzige Nordseewasser draußen, vor allem bei Stürmen, aber auch bei normaler Ebbe und Flut. Aber Deiche haben auch eine andere Wirkungen. Sie halten das Regenwasser drinnen, es kann ja nicht über den Deich klettern. Wenn Menschen einen Deich bauen, müssen sie etwas bedenken, um das – manchmal reichliche –- Regenwasser ins Meer zu schaffen. Und diese Einrichtung nennt man „Siel“. Zu Anfang des Deichbaus war das eine hölzerne Röhre durch den Deich. Außen war eine Klappe davor. Bei Niedrigwasser konnte das Wasser die Klappe selbst aufdrücken und frei abfließen. Kam draußen die Flut, drückte sie die Klappe zu. Dann musste das Salzwasser draußen bleiben.
Die entwicklung der Marschenlandschaft
25 Feb., 2021
Ein interessanter Aufsatz, den Axel Heinze als Festschrift anlässlich der Verabschiedung von Dr.Bärenfänger (Landschaftsdirektor) verfasste. Auslöser dieser Überlegungen ist das vielfach geäußerte Interesse von Einwohnern des Harlingerlandes an der Weihnachtsflut von 1717 und den Auswirkungen dieser Sturmflut in diesem Gebiet, denn diese Katastrophe hatte wohl hier ihren Schwerpunkt. Glücklicherweise gibt es zahlreiche Augenzeugenberichte, die auch sehr detaillierte Aussagen über das Ausmaß der Schäden erlauben. Trotz der nahezu völligen Zerstörung vieler Siedlungen in der Marsch wurden sie sehr schnell wiederhergestellt und bewohnt, obwohl sich solche Ereignisse doch jederzeit wiederholen konnten. Daraus folgt unmittelbar die Frage: Warum haben Menschen diesen lebensgefährlichen Raum überhaupt erschlossen und welche Fehler haben sie vielleicht bei der Erschließung gemacht? Marsch Unter „Marsch“ wird hier die fast flache Landschaft an einer Gezeitenküste verstanden, die bei normaler Flut nicht überflutet wird, aber bei Sturmfluten – also windbedingt erhöhten Wasserständen – mehrfach im Laufe eines Winters mehr oder weniger vom Wasser überdeckt wird. Handelt es sich um den Küstenbereich eines Meeres, so wird sie von Salzwasser überflutet (Küstenmarsch). In den Ästuarien wird das Wasser zunehmend brackisch bis schließlich ganz süß (Flussmarsch). Dieser Faktor ist entscheidend für die Pflanzengesellschaften, die sich hier entwickeln. Zudem ist die Sedimentation unterschiedlich, aber die Prozesse sind weitgehend vergleichbar (Zur Entstehung des Naturraumes siehe Behre 2008; 2014). Ein weiterer notwendiger Faktor ist ein langsames Anwachsen des Meeresspiegels gegenüber der Landeshöhe. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Meeresspiegel wirklich steigt oder der Boden sinkt, die Auswirkung bleibt gleich. Natürliche Höhenunterschiede ergeben sich zum Beispiel durch Uferwälle an Wasserläufen, wo vor allem oberhalb von Prallhängen relativ grobes Material abgelagert wird. Je nach Größe des Gewässerlaufes können solche Wälle Höhen von mehr als einem Meter erreichen, sind aber in ihrer Längenausdehnung immer beschränkt. Anders ist die Entwicklung parallel zur Küstenlinie. Auch hier wird bei Überflutungen gröberes Material in einigem Abstand von der Küstenlinie weitflächig abgelagert und bildet einen flacheren, aber wesentlich breiteren und oft sehr langen küstenparallelen Wall. Für dieses Phänomen wird in der niederländischen Geologie der Begriff „Kwelderwall“ benutzt, der sich als „Küstenwall“ übersetzen lässt. Bäume sind in der natürlichen Küstenmarsch kaum zu erwarten, da unsere Baumarten keinen Salzgehalt im Wasser vertragen. Die dominierende Pflanzenart ist das Schilf (Phragmitis) mit einer recht guten Salzresistenz und einer sehr guten Wasserverträglichkeit. Zudem stellt es keine besonderen Ansprüche an die Bodenart, solange genügend Nährstoffe zur Verfügung stehen. Die Bodenarten sind in der Marsch sehr unterschiedlich. An Korngrößen stehen nur Sand, Ablagerung, da Überflutungswasser hier oft lange Zeit steht und so auch Tonmineralien zur Ablagerung kommen, während Sand hier nicht mehr hingelangt und der Schluff-Anteil immer geringer wird. Schlick entsteht vor allem in der Übergangszone von Salz- und Süßwasser durch Ausfällung und biologische Prozesse, so dass er in der Flussmarsch dominiert und Schluff und Tonmineralien zur Verfügung. Auf den „Wällen“ dominieren Sand und Schluff, eventuell noch begleitet von einzelnen Muschelschalen, da hier die Wasserbewegung für feinere Sedimente zu groß ist. Weiter entfernt von Küste und Wasserläufen gelangt nur Schluff mit unterschiedlich hohen Tonanteilen zur mit zunehmendem Abstand von Fließrinnen fast nur noch als Ton mit einem geringen Schluff-Anteil abgelagert wird.
Mirja Harms im Zwei-Siele-Museum
04 Sept., 2020
Auf diesem Foto hat Mirja Harms noch gut 300 Arbeitsstunden und zwölf Wochen vor sich! (Bild: Handwerkskammer) Mittlerweile ist die Wand freigelegt und strahlt im alten Glanz. Im folgenden Bereicht, der am 03.09.20 im Anzeiger für Harlingerland erschien, erfahren Sie neben den Informationen zur Wandfreilegung auch etwas über Mirja Harms und ihren überaus interessanten Beruf als Restauratorin.
Denkmalschutz Naturschutz
22 Aug., 2019
Wir hatten das Haus „Am alten Hafen 1“ in Westeraccumersiel erworben, um es zu sanieren und dort das „Zwei-Siele-Museum“ und die K.-H.-Wiechers-Stiftung unterzubringen. Aber bei genauerer Besichtigung des Gebäudes ergab sich ein Hindernis, mit dem wir zunächst nicht gerechnet hatten. Das Haus war immer unbeheizt gewesen, da es nur im Sommer genutzt wurde. Gleichzeitig war der Keller oder besser das ‚Niederhaus‘ durch mangelnde Drainage immer etwas feucht. Zudem fiel durch die Fenster in nordwestlicher Richtung immer ein dämmriges Licht in diese Räume. Genau das sind die Lebensbedingungen, welche die Hirschzunge (Asplenium scolopendrium) bevorzugt; ein geschützter Farn unserer Region, den man sonst nur in Gebirgsschluchten findet. Hier aber wuchs er im Keller eines denkmalgeschützten Hauses dicht an der Küste.
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